Mythos 6: Ohne Liebe keine Beziehung
„Wir haben keine Gefühle mehr füreinander“, sagen Menschen, wenn sie ausdrücken wollen, dass sie keine Liebe mehr füreinander empfinden. Manche sagen es auch so: „Die Liebe ist verschwunden.“
Beide Aussagen wirken auf uns stets ein wenig befremdlich. Wir fragen uns dann oft, wo sie denn hin ist, die Liebe. Manchmal fragen wir das auch die Paare, die uns gegenübersitzen, und bekommen dann nie eine Antwort.
Was ist denn Liebe überhaupt?
Uns ist klar, dass die Frage schwer zu beantworten ist, zumal kaum jemand erklären kann, was Liebe überhaupt ist. Wie soll ich den Verbleib von etwas erklären, wenn ich noch nicht einmal sagen kann, was dieses „etwas“ genau ist?
Die ersten Tränen fließen
Deshalb sprechen viele Menschen in der Paartherapie auch lieber über all die Verletzungen, die sie im Laufe ihrer Zeit in der Partnerschaft erlitten haben. Und schnell – oft schon in der ersten Sitzung – fließen Tränen. Manchmal bei einem, manchmal bei beiden.
Das freut uns.
Von wegen keine Gefühle
Warum? Weil es eine Aussage widerlegt, die eine erfolgreiche Paartherapie unmöglich machen würde: „Wir haben keine Gefühle mehr füreinander.“
Wer weint, hat in aller Regel noch mindestens ein Gefühl: Trauer. Und oft ist der Weg von den ersten Tränen zu weiteren Gefühlen gar nicht weit: Ärger, Angst und - meist deutlich später - Freude.
Wer sich ärgert, hat Gefühle
Wer Ärger, Trauer, Angst oder Freude empfindet, hat Gefühle. Das ist die gute Nachricht. Es spielt dabei keine Rolle, ob wir bestimmte Gefühle als negativ oder positiv bewerten. Gefühle sind einfach Gefühle. Und so lange Menschen in einer Partnerschaft emotional reagieren, haben sie Gefühle füreinander. Ganz egal, ob sie dabei Ärger, Trauer, Angst oder Freud ausdrücken.
Warum Liebe kein Gefühl ist
Wenn sie weder das eine noch das andere fühlen, ist das meist ein schlechtes Zeichen. Menschen, die nicht mehr mit Gefühlen aufeinander reagieren, sind einander egal. Sie haben dann tatsächlich keine Gefühle füreinander. Aber das erleben wir so gut wie nie.
Und die Liebe, ist die etwa kein Gefühl?
Nein. Zumindest nicht nach streng psychologischer Definition.
Gar nicht so romantisch
Liebe ist eine besondere Form der Zuneigung und beschreibt damit nach unserem Verständnis eine Haltung, die wir gegenüber einem Menschen einnehmen. Und diese Haltung hat überraschend wenig mit verliebt sein oder romantischen Vorstellungen zu tun.
Tatsächlich geht es um etwas, das gar nicht romantisch klingt: um Verpflichtung füreinander.
Verpflichtung ist entscheidend
Für eine glückliche Beziehung braucht es vor allem eines: die Verpflichtung für das Wohl des jeweils anderen.
Das klingt sehr selbstlos.
Ist es aber nicht.
Fürs eigene Wohl sorgen
Die Verpflichtung für das Wohl des anderen kann ich nur aufrechterhalten, wenn ich auch in der Lage bin, für mein eigenes Wohl zu sorgen. Etwa indem ich sage, was ich brauche, indem ich Grenzen setze oder Nein sage.
Tatsächlich ist eine Beziehung der Ort, an dem ich anfange zu lernen, was es überhaupt bedeutet zu lieben. Das ist ein Prozess, der in der Regel Jahre dauert.
Zu abstrakt
Es gibt zwei Aussagen, die diesen Prozess wirksam unterstützen.
„Ich liebe dich“ gehört nicht dazu. Das mag manche enttäuschen, aber die Aussage ist viel zu unklar, um eine Haltung zu verdeutlichen. Genau deshalb fällt es vielen Menschen sehr leicht, „Ich liebe dich“ zu sagen: Es ist zu abstrakt, um verbindlich zu sein.
Deutlich konkreter sind die beiden folgenden Aussagen:
„Danke“ und „Es tut mir leid“.
Wir nutzen sie oft.
Aber immer mit Bedacht, damit sie sich nicht abnutzen.
Anerkennung und Wertschätzung
Ein ehrliches „Danke“ drückt Anerkennung und Wertschätzung aus. Es verhindert, dass wir Dinge, die unser Partner für uns tut, als selbstverständlich hinnehmen. In der Folge verhindert es sogar, dass wir unseren Partner als Selbstverständlichkeit betrachten.
Danke ist Wertschätzung. Danach sehnen sich alle Menschen.
Akzeptanz und Mitgefühl
„Es tut mir leid“ drückt zweierlei aus: Akzeptanz und Mitgefühl.
Wenn es mir leidtut, dass mein Partner traurig ist oder ärgerlich, gestehe ich ihm zu, zu fühlen, was er fühlt. Das ist Akzeptanz.
Das hat nichts damit zu tun, ihm auf der Sachebene Recht zu geben.
Es hat auch nichts damit zu tun, dass ich mich schuldig bekenne.
Vom Leid berühren lassen
Vielmehr drückt es aus, dass ich mich vom Leid meines Partners berühren lasse.
Es zeigt, dass wir Gefühle füreinander haben.
Und genau darum geh es in Beziehung.
Wenn wir diese Verpflichtung füreinander leben, lernen wir, was Liebe wirklich bedeutet.
Wie Beziehung tatsächlich funktioniert, erfährst Du hier.