Zuhören ist ein Geschenk an den Partner
Zuhören ist ein wesentlicher Bestandteil von Kommunikation. Es lohnt sich, unterschiedliche Arten von Zuhören zu trainieren und seinem Partner zur Verfügung zu stellen. Jede hat ihre eigene Qualität. Eine Form unterscheidet sich allerdings von allen anderen Arten des Zuhörens, weil sie nicht dem Zuhörer, sondern ausschließlich dem Sender dient. Und genau darum geht es in Beziehung: ums Dienen.
Wieso jetzt aus Nörgeln und Jammern Zuhören werden soll, fragt ihr euch? Ganz einfach. Wir ersetzen das ständige Ich, Ich, Ich, durch eine Haltung von Du, Du, Du. Während es beim Jammern und Nörgeln um unsere Befindlichkeiten geht, legen wir durch Zuhören den Fokus auf die Befindlichkeiten des anderen.
Wir müssen Zuhören erst lernen
Zuhören, kein Problem denkt ihr? Da müssen wir Euch leider enttäuschen. Fakt ist, wir haben Zuhören nicht gelernt. Und schon gar nicht die radikale Art des Zuhörens, die wir euch hier als Liebesmittel vorstellen.
Aber erst einmal zu den herkömmlichen Arten des Zuhörens.
Alltägliches Zuhören
Das alltägliche Zuhören ist die Art von Zuhören, mit der wir alle aufgewachsen sind. Wir kommen aus der Schule, Mama steht noch am Herd, fragt, wie unser Tag war, und während wir plappern, wird im Topf gerührt, der Salat angerichtet, der Tisch gedeckt, wir werden aufgefordert, die Getränke aus dem Keller zu holen. Kinder sagen oft: „Du hörst mir gar nicht zu.“ Wir können davon ausgehen, dass sie Recht haben. Wir lauschen zwar den Worten und können, wenn wir tatsächlich multitaskingfähig sind, sogar deren Inhalt wiedergeben, aber unsere Aufmerksamkeit ist nicht auf das Zuhören gerichtet, sondern darauf, was wir gerade tun. Unser Zuhören ist nur eine Nebentätigkeit.
Zum alltäglichen Zuhören gehört auch, dass wir das Gehörte sofort auf uns beziehen. Typische Dialoge: „Mir geht es heute nicht so gut, ich glaube ich bekomme eine Erkältung.“ Antwort: „Oh ja, ich habe gestern auch schon angefangen zu husten und fühle mich total schlapp.“ Sofort bringen wir den Fokus auf uns zurück. Auf das Ich. Oder wir nehmen das, was gesagt wurde, persönlich. „Ich habe echt Hunger.“ Antwort: „Hetz mich nicht so, ich bin ja gleich mit dem Kochen fertig.“ Das alltägliche Zuhören ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, aber es ist nicht die Art von Zuhören, die wir als Liebesmittel empfehlen, weil es beiläufig geschieht und keine Nähe, keine wirkliche Beziehung erschafft.
Aktives Zuhören
Eine andere Art von Zuhören ist das aktive Zuhören. Es kommt aus der gewaltfreien Kommunikation und wurde von Carl Rogers ausgearbeitet.
Das aktive Zuhören ist eine Methode, bei der es darum geht, empathisch zu sein, hinzuhören, seine Meinung erst einmal zurückzustellen. Aktiv Zuhören bedeutet aber auch, Fragen zu stellen. „Habe ich das richtig verstanden?“, „Kannst du mir das nochmal erklären?“ Das sind typische Fragen aktiver Zuhörer. Auch Bestätigungen wie „Ja, das kann ich verstehen“ oder „Da gebe ich dir Recht“ seitens des Zuhörers sind wichtige Mittel. Beim aktiven Zuhören stehen das Verstehen des Gesagten und die Akzeptanz des Gegenübers auf gleicher Ebene. Diese Methode ist eine wichtige Art des Zuhörens in Beziehungen, wenn es darum geht, den anderen zu verstehen.
Verstehen ist der Trostpreis
Dass wir sie dennoch nicht als Liebesmittel empfehlen, verstehen viele Paare zunächst einmal gar nicht. Es sei doch so wichtig, den Partner zu verstehen, argumentieren sie. Sie wollen Verständnis füreinander, sie wollen sich „gut verstehen“. Landläufig gilt eine Beziehung als gesund, wenn sich die Partner gut verstehen.
Tatsächlich aber wird Verständnis überbewertet. Wir sind oft so sehr damit beschäftigt, den anderen, seine Handlungen und sein Verhalten verstehen zu wollen, dass wir vergessen, worauf es wirklich ankommt: Unser Partner will, dass wir ihn JETZT lieben – und nicht erst, wenn wir verstanden haben, warum er so tickt, wie er tickt. Viele Menschen geben sich alle Mühe damit, ihren Partner verstehen zu können und versagen ihm damit das, wonach er sich so sehr sehnt: so akzeptiert zu werden, wie er ist. Solange wir unseren Partner aber zuerst verstehen wollen, sind wir nicht bereit, ihn wirklich zu akzeptieren. Wir tappen in die Verständnisfalle.
Genau an dieser Stelle stößt das aktive Zuhören an seine Grenzen. Eben deshalb empfehlen wir als Liebesmittel eine andere, eine radikalere Art des Zuhörens.
Das dienende Zuhören
Beim dienenden Zuhören lassen wir unsere Erwartungen, unsere Wünsche, tatsächlich sogar uns selbst komplett beiseite und hören nur, was der andere sagt. Wir gehen so weit, dass wir auch das Verstehen hintanstellen. In extremer Klarheit bedeutet das: Wenn unser Partner Ungarisch spricht und wir kein Ungarisch verstehen, hören wir dennoch zu. In dieser Form des Zuhörens geht es nicht darum, dass wir verstehen, was gesagt wird.
Das ist zunächst einmal irritierend, weil wir gewohnt sind, alles unserem Verstand unterzuordnen. Die meisten Menschen reagieren auf die Empfehlung, dienend zuzuhören, erst einmal mit Widerstand und Unverständnis. Das ist völlig normal und zeigt im Grunde nur, wie neu und ungewohnt dieses Terrain für uns ist.
Als Paar in die Tiefe gehen
Wir können uns den Einstieg ins dienende Zuhören durch eine bestimmte Sichtweise erleichtern: Dabei sehen wir uns als Raum, den wir unserem Partner zur Verfügung stellen, damit er in ihn hinein sprechen kann. Wir schenken ihm unsere ganze Aufmerksamkeit. Dazu gehört auch, dass wir aufrecht, in offener Körperhaltung vor ihm sitzen. Idealerweise haben wir beide Füße auf dem Boden, und unsere Hände liegen auf unseren Oberschenkeln. Das fühlt sich steif und unbequem an? Ja, aber da wir hier beim dienenden Zuhören sind, geht es nicht um unsere Bequemlichkeit, sondern um unseren Partner. Wir halten den Blickkontakt, aber wir werten nichts von dem, was gesagt wird. Wir machen keinen nickenden Wackeldackel oder Seufzen oder verdrehen die Augen oder blicken geschockt. Und dennoch lassen wir uns berühren. Wir hören auch dann zu, wenn der andere nicht spricht. Wir sprechen nicht selber, wir trösten nicht, wir geben nicht unsere Meinung wieder und ganz sicher stellen wir nicht irgendetwas richtig, das uns falsch erscheint.
Zuhören braucht Disziplin
Das dienende Zuhören ist ein Liebesmittel, weil wir uns für einen gewissen Zeitraum unserem Partner zur Verfügung stellen. Denn wenn wir auf diese Art und Weise zuhören, geben wir dem, der spricht, einen Raum, in dem er nicht nur gehört wird, sondern die Möglichkeit hat, sich selbst zu entdecken. Es braucht ein wenig Disziplin, sich darauf einlassen zu können. Vor allem dann, wenn es um Emotionen geht. Wenn der andere als Sprechender gerade seinen ganzen Frust verbal über uns ausschüttet, braucht es Größe und Würde, damit wir uns nicht verteidigen oder einen Gegenangriff starten. Aber schließlich wollen wir ja lernen zu lieben. Dienendes Zuhören ist eines der wichtigsten Mittel, mit denen wir unsere Liebe ausdrücken können. Es ersetzt nicht das aktive Zuhören, das in anderen Situationen gefragt ist, aber es erweitert unser Spektrum an Möglichkeiten beträchtlich.
Akzeptanz beginnt, wo das Verstehen aufhört.
Beim dienenden Zuhören müssen wir gegen viele Gewohnheiten angehen, die in unserer Gesellschaft als wichtig gelten. Vor allem das Verstehen loszulassen fällt uns ungemein schwer. Aber gerade das ist wichtig, denn das vielgepriesene Verständnis steht uns oft im Weg. Wir gehen in der Regel davon aus, dass wir etwas akzeptieren können, wenn wir es verstehen. Das ist ein Trugschluss. Akzeptanz beginnt dort, wo Verstehen aufhört. Etwas, das ich verstehe, brauche ich nicht mehr zu akzeptieren. Aber das, was ich nicht verstehe, das gilt es zu akzeptieren. Gerade in Beziehungen. Denn es gibt einen Bereich, in dem wir nun mal nicht verstehen können, weil wir selbst komplett anders funktionieren als unser Partner. Wie soll ein Mann jemals die miteinander verschlungenen Zusammenhänge eines weiblichen Gehirns verstehen können? Wie soll eine Frau jemals nachvollziehen können, dass man Dinge einfach abhaken kann? Oder wie soll ein Mann je verstehen können, was es bedeutet, beim Sex etwas (oder jemanden) in sich aufzunehmen?
Training in Akzeptanz
Unser Verstand will Akzeptanz nicht zulassen. Das dienende Zuhören aber trainiert unsere Fähigkeit, den anderen zu akzeptieren. Das bedeutet nicht, dass wir allem, was wir hören, zustimmen. Wenn wir zuhören und der andere uns erzählt, was in ihm vorgeht, müssen wir ihm nicht in allem Recht geben. Wir hören einfach, was gesagt und was nicht gesagt wird. Weil diese Form des Zuhörens nicht unserem Verstand dient, ermöglicht sie uns eine Wahrnehmung jenseits der gesprochenen Worte: Wir können Gefühle wahrnehmen und sehen den Menschen, der zu uns spricht. Wir werden Zeuge.