Entschuldigen - nichts leichter als das?
„Sorry seems to be the hardest word“, hat Elton John gesungen. Oh ja. “Es tut mir leid”, geht uns nur schwer über die Lippen. Wir können uns einfach nicht entschuldigen, kommen gar nicht dazu, weil wir damit beschäftigt sind, uns zu rechtfertigen. Wir wollen nicht im Unrecht ertappt werden, sondern der oder die Gute sein. Hier kommt die gute Nachricht: „Es tut mir leid“ bedeutet nicht „Du hattest Recht, und ich hatte Unrecht“. Es bedeutet auch nicht „Ich habe etwas falsch gemacht“ oder „Ich bin schuld“. Beispiele gefällig? Gerne.
Die guten Gründe fürs "zu spät kommen"
Der Klassiker: zu spät kommen. Ich hatte einen Mega-Stau, da war ein schrecklicher Unfall, bei dem ich als Ersthelferin eingesprungen bin und damit ein Menschenleben gerettet habe. Jetzt komme ich nach Hause, wo mein Mann auf mich wartet und ziemlich sauer ist. Ich bin eine Stunde zu spät, und wir waren zum Ausgehen verabredet, und in dem ganzen Stress hatte ich natürlich auch keine Zeit, um ans Telefon zu gehen.
Erst Entschuldigen, dann erklären
Er also auf 180. Ich komme zur Tür herein und sage nur: „Es tut mir leid, dass ich zu spät bin.“ Fertig. Denn egal, was der Grund war, ob ein „guter“ Grund oder ein weniger guter Grund – das liegt ja oft auch in der Sicht des Betrachters. Die Wahrheit in diesem Moment ist, dass ich zu spät komme. Und dafür übernehme ich die Verantwortung, indem ich sage „Es tut mir leid.“ Die Unfallstory kann ich später noch erzählen. Das eine hat mit dem anderen nämlich gar nichts zu tun.
Die Gefühle des Partners anerkennen
„Es tut mir leid“ sorgt nicht nur dafür, dass ich die Verantwortung übernehme, es hat auch zur Folge, dass ich meinen Partner in seinen Gefühlen sehe. Denn der Partner, der Zuhause wartet, ärgert sich nun mal (oder ängstigt sich), egal, was die Ursache dafür war.
Selbst wenn wir überhaupt keine Verantwortung haben, können wir uns entschuldigen. Nehmen wir den Hochzeitstag. Der Mann hat heimlich ein romantisches Dinner geplant, die Blumen sind bestellt und sollen am späten Nachmittag von einem singenden Lieferanten gebracht werden. Gegen Mittag wird das Gesicht der Frau langsam etwas länger. Denn da alles eine Überraschung sein soll, tut ihr Mann so, als hätte er den Hochzeitstag vergessen. Er hat ihn mit keiner Silbe erwähnt. Die Frau ist traurig, schließlich passiert das gleiche wie im letzten Jahr.
Sich zu entschuldigen ist einfühlsam und liebevoll
Am Nachmittag dann die Überraschung. Die Blumen kommen mit der Einladung zum Dinner. Frau freut sich, Mann sagt: „Es tut mir leid, dass du heute Morgen so traurig warst.“ Das ist eine ganz andere Reaktion als sich selbst auf die Schulter zu klopfen für den gelungenen Coup..
Die Haltung hinter den Worten ist entscheidend
Es tut mir leid, lässt uns den anderen sehen, wie er ist. Das ist das größte Geschenk, das wir einem Menschen machen können. Uns entschuldigen.
Aber Achtung: Ein floskelhaft gebrauchtes „Tut mir leid“, vielleicht sogar verbunden mit der inneren Haltung von „Gib doch einfach Ruhe“, ist ein Schuss, der nach hinten losgehen wird. Unser Partner wird das bemerken und entsprechend reagieren. Ein missbrauchtes „Tut mir leid“ ist schlimmer als keines. Unsere Haltung ist entscheidend.
Wir wissen, dass das die Sache etwas schwieriger macht. Tut uns leid.
Tatsache ist aber auch, dass es eine Belohnung gibt. Wer den Satz „Es tut mir leid“ über seine Lippen bringt, erfährt Erleichterung. Der zuvor nahezu unwiderstehliche Drang zur Rechtfertigung löst sich plötzlich in Luft auf. Es gibt keinen Grund mehr, sich zu erklären. Wenn unser Partner Akzeptanz erfährt und sich gesehen fühlt mit dem, was ihn ihm vorgeht, braucht es keine Debatte mehr.
Glaubwürdig bleiben
Das ist so wohltuend, dass darin natürlich auch eine Gefahr liegt. Wir können die Entschuldigung auch missbrauchen, um unserem verletzten oder ärgerlichem Partner den Wind aus den Segeln zu nehmen. In der Regel wird er dieses Spiel durchschauen. Wenn wir es immer wieder versuchen, verliert unser „Tut mir leid“ seine Glaubwürdigkeit. Dann haben wir ein richtiges Problem.
Was wünschen wir uns für unseren Partner?
Die Frage, die wir uns deshalb stellen sollten, ist: Wollen wir, dass es unserem Partner gut geht oder schlecht? Wenn wir wollen, dass es ihm gut geht (und hey, wir müssen das nicht immer wollen), dann kann es uns immer leidtun, wenn es ihm nicht gut geht. Egal, ob wir daran schuld sind oder nicht. Nähe entsteht dann, wenn wir unseren Partner annehmen und in dem sein lassen, was er gerade fühlt: Enttäuschung, Frust, Ärger, Schmerz. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob wir dazu beigetragen haben oder nicht.? Der entscheidende kleine Unterschied ergibt sich aus einer simplen Frage: Wer steht gerade im Fokus unseres Interesses. Die Antwort darauf ist oft entlarvend: Wenn ich nicht schuld sein will, wenn ich lieber gut als schlecht aussehen will, wenn ich mich vom Gefühl meines Partners nicht berühren lassen will, wenn ich mich rechtfertige, dann geht es mir um mich und nicht um ihn.
Es tut mir leid, ist nicht nur ein Liebesmittel in unserer Partnerschaft. Es ist auch für uns ganz persönlich ein Training darin, die Verantwortung zu übernehmen, für das, was wir mit unserem Handeln oder nicht Handeln in unserer Umgebung auslösen. Obwohl wir denken, dass „Tut mir leid“ unsere Position schwächt, ist es letztendlich doch ein Akt von Würde und Größe. Es erfordert Stärke, die Verantwortung zu übernehmen und „Es tut mir leid“ zu sagen. Wenn dem nicht so wäre, würden wir es viel öfter tun.
3 Gedanken zu „Entschuldigen“
Das ist ein sehr schöner Beitrag. Ich finde die Idee Kamofmittel gegen Liebesmuttel genial. Weiter so und viel Erfolg!
Herzlichen Dank, liebe Gwynnefer. Und viel Spaß beim Kampf-Liebesmittelsmittel-Tausch….
Alles Liebe
Dee
Ich freue mich, dass es sowas leichtes ist….Entschuldigen….das kann ich aus tiefstem Herzen! Vielleicht sollte ich es noch öfter etablieren…..?
War mein erster Impuls….bei dem Thread um das zu Spät kommen….
Herzlichst Katrin
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