Liebe - ein missbrauchtes Wort
So wie es sechs Kampfmittel gibt, mit denen wir unsere Beziehungen zum Kriegsschauplatz machen, gibt es auch sechs Liebesmittel, die wir nutzen können, damit dieses Wort in unserer Beziehung mehr als nur ein Wort ist. Denn Liebe ist eines der meisten missbrauchten Wörter überhaupt. Kein anderes Wort kommt in unseren Paarberatungen so häufig vor. Alle wollen sie. Alle vermissen sie. Wenn unsere Beziehung funktioniert, ist sie da, und wir sind glücklich. Wenn nicht, sind wir unglücklich. So einfach ist das. Die Liebe, dieses unzuverlässige Gefühl, ist schuld an unserem Elend. Böse Liebe.
Liebe vergeht nicht einfach
Früher oder später landet jedes Beratungsgespräch beim L-Wort. Es scheint keinen Ausweg zu geben. Einer von beiden fängt irgendwann damit an und spricht von dieser Liebe, die einfach nicht mehr da sei. Gute Paarberater hören dann aufmerksam zu und warten auf die Gelegenheit, eine simple Frage zu stellen, die ihre Klienten aus ihrem Liebes-Konzept bringt. Sie lautet: Was, bitteschön, bedeutet denn Liebe?
In der Regel folgt darauf erst einmal Stille.
Auch auf die Wiederholung der Frage: Was bedeutet denn Liebe?
Nach dem ersten und dem zweiten Schock, meldet sich der Verstand des Klienten zurück und kramt Erklärungen aus alten, längst vergessenen Schubladen hervor. Die Liebe… die Liebe… also die Liebe ist so ein unglaublich starkes Gefühl, heißt es dann. Von Zuneigung und Wertschätzung ist die Rede, manchmal auch von Flugzeugen oder Schmetterlingen im Bauch.
Danach folgt üblicherweise wieder Stille.
Liebe bedarf keiner Erwiderung
Die Liebe scheint ein Mysterium zu sein, das sich nicht erklären lassen will. Wir nehmen unseren ganzen Mut zusammen und versuchen es dennoch. Zunächst ganz rational mit der Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Dort steht:
Liebe (über mhd. liep, „Gutes, Angenehmes, Wertes“ von idg. *leubh- gern, lieb haben, begehren[1]) ist im Allgemeinen die Bezeichnung für die stärkste Zuneigung und Wertschätzung, die ein Mensch einem anderen entgegenzubringen in der Lage ist. Der Erwiderung bedarf sie nicht.
Interessant. Von gern oder lieb haben und begehren ist die Rede. Zuneigung und sogar Wertschätzung kommen in dieser Definition ebenfalls vor. Im Grunde ist das keine Erklärung, der man widersprechen müsste. Und doch lässt sie uns ein wenig ratlos zurück. Mit einem Beigeschmack von Zweifel. Denn wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst sind, erfüllen uns die letzten eineinhalb Sätze mit Unbehagen. Einem anderen Zuneigung und Wertschätzung gegenüberbringen? Der Erwiderung bedarf sie nicht? Hallo? Das mag ja vielleicht für die Liebe an sich gelten, aber doch ganz sicher nicht für uns. Wir wollen die Erwiderung, sonst ist die Liebe keine Liebe für uns.
Liebe kommt nicht aus der Bedürftigkeit.
Im Grunde ist das nichts anderes als ein gigantisches Missverständnis. Den Teil mit dem Begehren und dem lieb HABEN nehmen wir sehr ernst, den Rest der Definition vergessen wir im Lauf der Jahre, manchmal gelingt uns das sogar in Wochen oder Monaten. Wie war das nochmal? Zuneigung und Wertschätzung. Doch, natürlich, wir erinnern uns: Die wollen wir haben. Von unserem Partner. Und zwar subito.
Wer eine Definition liefern will, die dem Phänomen Liebe auch nur annähernd gerecht werden soll, muss sich von seiner eigenen Bedürftigkeit, vom Haben wollen, lösen. Was wollen wir nicht alles haben? Wertschätzung für unser Tun, Verständnis für unsere Macken, Akzeptanz für unser Sein. Das kann doch nicht so schwer sein, sagen wir. Uns selbst gelingt das doch auch, denken wir. Die traurige Wahrheit ist: Wer Liebe einfordert, wird sie nicht bekommen. Das ist hart und fühlt sich ungerecht an, aber es kommt noch schlimmer: Dem Universum ist komplett egal, dass das ungerecht ist. Da können wir noch so viel jammern, nörgeln oder beschuldigen. Mal ganz abgesehen davon, dass wir uns ohnehin selbst belügen, weil wir in der Regel von unseren eigenen Qualitäten gar nicht so überzeugt sind, wie wir glauben. Die allermeisten kritischen und überkritischen Bewertungen hören wir nicht im Außen, sondern tief in uns selbst. Selbstakzeptanz? Wir wissen nicht wie das geht.
Verliebt sein hat nicht viel mit Liebe zu tun
Was, bitteschön, ist dann Liebe? Wikipedia definiert weiter:
Nach engerem und verbreitetem Verständnis ist Liebe ein starkes Gefühl, mit der Haltung inniger und tiefer Verbundenheit zu einer Person, die den Zweck oder Nutzwert einer zwischenmenschlichen Beziehung übersteigt und sich in der Regel durch eine entgegenkommende tätige Zuwendung zum anderen ausdrückt.
Ein starkes Gefühl? Das ist – pardon - kompletter Nonsens, wenn auch ein weit verbreiteter. Verknallt und verliebt sein sind Zustände, die mit starken Gefühlen und erhöhtem Hormonspiegel verbunden sind. Kein Widerspruch. Aber mit Liebe haben beide nicht viel zu tun.
Liebe als Gefühl zu bezeichnen, ist nichts anderes als ein leicht geöffnetes Hintertürchen, durch das wir, wenn die Beziehung „nicht funktioniert“, aussteigen können. Gefühle sind ja bekanntermaßen nicht kontrollierbar und manchmal einfach weg.
Wer liebt ist bereit sich unterzuordnen
Wer in unsere Paarberatung kommt, dem sagen wir: Liebe ist kein Gefühl. Schade, liebe Romantiker, das klingt hart.
Was aber ist Liebe dann? Für uns ist Liebe ist eine Haltung gegenüber einem Menschen, den wir so sehr mögen, dass wir bereit sind, unsere eigene Bedürftigkeit seinem Glück unterzuordnen. Unterordnen? Dieses Wort ist zugegebenermaßen nicht gerade in Mode. Fehlt nur noch, dass wir mit „dienen“ kommen. Und wir kommen. Dienen ist ebenfalls ein sehr altmodisches Wort. Der moderne westliche Mensch ist doch viel lieber selbstbestimmt, individuell und verwirklicht sich selbst. Wir wünschen viel Spaß damit.
Liebe kennt keinen Egoismus
Mit diesem auf modern gebürstetem Egoismus hat Liebe nichts zu tun. Die grundsätzliche Haltung eines Liebenden, ist geprägt von der eigenen Entscheidung, dem Wachstum und Glück des anderen zu dienen. Liebe nimmt nicht, sie gibt. Das ist der Grundton unseres Liebes-Lieds. Dabei geht es ganz und gar nicht darum, sich selbst aufzugeben oder sich ausnutzen zu lassen. Erwachsene Menschen können für sich selber einstehen, Grenzen setzten und Entscheidungen treffen.
Einen Menschen zu lieben, bedeutet, alles zu tun, was in meiner Kraft steht, damit mein Partner bekommt, was er für sein inneres Wachstum braucht. Das bedeutet nicht immer, dass er bekommt, was er will, sondern eben das, was er braucht. Wer sich auf den Pfad der Liebe begibt, lernt dazwischen zu unterscheiden und sieht, was sein Partner tatsächlich braucht.
Liebe ist eine Entscheidung
So etwas lernen wir nicht in der Schule, wir können es nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen. Und nur in seltenen Fällen haben uns unsere Eltern vorgelebt, was es bedeutet, diesem Weg zu folgen. Der Pfad der Liebe ist ein langer Weg mit Irrungen und Wirrungen. Wir erleben Rückschläge und Durststrecken, aber wir bleiben auf dem Weg, weil wir dem Glück unseres Partners und unserer Beziehung verpflichtet sind. Egal, wie heftig wir uns streiten oder wie weit unsere Standpunkte und Meinungen voneinander entfernt sind. Liebe ist eine Entscheidung. Dafür, dass Streit und Meinungen nicht mehr sind als Streit und Meinungen. Sie sind Teil unseres Beziehungslebens. Mehr nicht.
Liebe will wachsen (lassen)
Tatsächlich sind Konflikte nicht etwa Alarmsignale, die unsere Ruhe stören, sondern wichtige Stationen auf unserem Pfad der Liebe. Im Konflikt erleben wir, wie unser Autopilot funktioniert. Wie wir uns wehren, wie wir beschuldigen, rechtfertigen, Recht haben wollen, jammern, etc. Das zu sehen macht selten Freude. Aber es zeigt uns, wo wir stehen. Eine Beziehung ohne Konflikt ist keine gesunde Beziehung. Im Wort Waffenstillstand steckt eben nicht nur das Wort Waffe, sondern auch der Stillstand. Paare, die nicht miteinander streiten, stehen still. Die Beziehung entwickelt sich nicht weiter, die Partner auch nicht.
Liebe will etwas anderes. Sie will, dass Paare aneinander wachsen, zu emotional erwachsenen Menschen reifen. Dazu braucht es Konflikte. Nicht jeden Tag, aber hin und wieder. Auf Wolke 7 findet kein Wachstum statt. Liebe ist die Verpflichtung, die gelebte Entscheidung dafür, dass kein Streit, kein Konflikt und keine Meinungsverschiedenheit wichtiger oder größer ist als die Beziehung. Das hört sich nicht so romantisch an wie Flugzeuge oder Schmetterlinge im Bauch. Tatsächlich aber ist das die Basis für wachsende Verbundenheit.
Wer sich dafür entscheidet, wird seinen Partner oder seine Partnerin als sein emotionales Zuhause empfinden.
Ganz ohne Kerzenschein und Stehgeiger.