Faule Ausrede - die Kunst des Rechtfertigens
Rechtfertigen ist ein Kampfmittel, das wir schon deshalb nicht als solches erkennen, weil wir extrem gut im Rechtfertigen trainiert wurden. Ernsthaft. Wer von uns ist in der Schule jemals heil davon gekommen, wenn er keine brillante Begründung für die nicht erledigten Hausaufgaben liefern konnte? Was hätten wir auch sagen sollen? „Ich hatte keine Lust“ wäre ja vielleicht die Wahrheit gewesen, aber das hätte uns sicher nicht vor der Strafarbeit gerettet. Lehre Nummer eins daraus: Die Wahrheit kommt nicht gut an. Schade eigentlich. Besser also eine gute Ausrede zu finden?
Eine Waffe mit hoher Akzeptanz
Viel besser klingt eine Begründung nach folgendem Muster: „ Leider ist meine Oma sehr krank, und ich musste auf meine kleinen Geschwister aufpassen, damit meine Mutter ins Krankenhaus konnte.“ Gelogen, aber irgendwie berührend. Eine Ausrede, eine billige Entschuldigung, die beste Rechfertigung schlechthin. Lehre Nummer zwei: Je besser die Story, desto größer die Chance, mit heiler Haut davonzukommen.
Es gibt nur wenige Kampfmittel, die so beliebt sind wie die Rechtfertigung. Für viele von uns ist sie die beste Ausrede die ultimative Waffe. Sie hat den großen Vorteil, dass sie hohe gesellschaftliche Akzeptanz genießt, denn sie ist keine Angriffswaffe. Sie dient der Verteidigung, und wir haben alle gelernt, dass man sich verteidigen darf. Das fängt schon sehr früh an.
Je besser die Ausrede, desto milder das Urteil
Präventiv-Verteidigung nennen das Militärstrategen. Und damit sind wir bei der Rechtfertigung angelangt. Warum rechtfertigen wir uns? Weil wir den Kopf aus der Schlinge bekommen wollen, weil wir nicht schuld sein wollen, weil wir nicht bestraft werden wollen, weil wir gut aussehen wollen. Kurz: Weil wir lieber geliebt werden wollen. Papas Auto gegen die Hofmauer gefahren? Der Junge war aufgeregt wegen seiner Prüfung, und schon schluckt Papa seinen Ärger. Wir sind alle versessen auf mildernde Umstände. Mit ihnen wird’s uns wieder leicht ums Herz, wir gehören wieder zu den Guten. Uff!
Von der guten Aurede zu den kleinen Lügen
Rechtfertigen, gute Gründe finden, das lässt uns oft die Grenze zur Lüge überschreiten. Dann halten wir ein wirklich fieses Kampfmittel in unseren Händen. Aus dem kleinen Stau auf der Autobahn wird ein Riesenstau, mit dem wir unser Zuspätkommen rechtfertigen. Das Telefonat kurz vor Geschäftsschluss hat plötzlich ewig gedauert, und unser Chef hat uns mit seinen Geschichten aufgehalten. Wir finden immer sehr gute Gründe, weshalb es uns heute einfach nicht möglich war, die Wohnung aufzuräumen oder den Müll rauszubringen. Für die kleinsten Unzulänglichkeiten komponieren wir spontan eine Partitur voller Begründungen, anstatt einfach nur zu dem zu stehen, was wir getan oder eben nicht getan haben.
Die klassische Kopfschmerzen Ausrede
Ein ganz banales, immer wiederkehrendes, absolut ausgelutschtes und nichtsdestotrotz wahres Beispiel: Mann will Sex, Frau hat Kopfschmerzen. Gibt es das wirklich? Oh ja, öfter als wir alle denken. Und wenn es keine Kopfschmerzen sind, ist Frau eben müde oder der Partner war sowieso nicht lieb genug. Pfiffige Männer reichen ihrer Frau Kopfschmerztabletten, bevor sie ihren Annäherungsversuch starten. War nur Spaß…
Jede Rechtfertigung hat nur einen Zweck: keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Im Psychodrama wird sie hauptsächlich von Opfern genutzt.
Hauptsache nicht schlecht aussehen
Warum also ist Rechtfertigung in Paarbeziehungen ein Kampfmittel, ein sehr wirksames sogar? Weil es Beziehung zerstört. Wer sich oft und gerne rechtfertigt, bekämpft zwar nicht direkt seinen Partner, wohl aber die Beziehung und zuletzt sich selbst. Ein klassisches Beispiel: Es ist Mittwochabend, ich frage meine Frau, ob wir zusammen ins Kino gehen wollen. „Ich habe doch mittwochs meine Telefonkonferenz“, sagt sie mit einem Anflug von Enttäuschung, weil ich das immer noch nicht verinnerlicht habe. Jetzt könnte ich „Tut mir leid, dass ich das immer vergesse“ sagen, aber weil das viel zu ehrlich und zu offen wäre, springe ich lieber mit beiden Füßen in den nächsten Fettnapf und frage: „Mit wem denn?“
Mit jeder Ausrede wird es schlimmer
Jetzt habe ich ein Problem. Nach gut einem Jahr habe ich immer noch keine Ahnung, mit wem sie da jeden Mittwochabend spricht. Interesse an der Partnerin sieht anders aus. Das ist mir ebenso klar wie die Tatsache, dass ich gerade sehr, sehr alt aussehe. Auch jetzt könnte ich „Tut mir leid, dass ich das immer vergesse“ sagen, aber ich entscheide mich für den Notausgang durch das Hintertürchen und sage: „Ah, weißt du, ich hatte heute einen unglaublich stressigen Tag und wusste gar nicht, das wir schon wieder Mittwoch haben.“
Warum cool aussehen wollen uncool ist
Seien wir gnädig und gehen davon aus, dass mein Tag wirklich stressig war. Was ändert das an der Enttäuschung meiner Partnerin? Rein gar nichts. Sie hört eine Rechtfertigung, die im Grunde nichts Anderes sagt als: „Du hast kein Recht, jetzt enttäuscht oder verärgert zu sein.“ Das ist die Hintergrundkommunikation, und sie kommt an – bewusst oder unbewusst. Nur eben nicht so, wie ich mir das in dem Moment wünsche. Die Erfahrung lehrt: Einem Partner das Recht auf seine Wahrnehmung und sein Gefühl abzusprechen ist kein guter Start in einen gemeinsamen Mittwochabend. Rechtfertigungen sind uncool.
Wer für nichts was kann ist nicht verlässlich
Darin liegt übrigens das Paradoxon beim Kampfmittel Rechtfertigung: Wir rechtfertigen uns, weil wir gut, heute heißt das cool, aussehen wollen, und erreichen genau das Gegenteil. Rechtfertigungen machen uns schwach und ungreifbar wie ein nasses Stück Seife. Wer sich rechtfertigt, übernimmt keine Verantwortung für sein Handeln und schiebt den Schwarzen Peter anderen zu: dem bösen Chef, unfähigen Verkehrsteilnehmern, den unsäglichen Busverbindungen, dem Wetter, der Welt, oder dem (in dem Fall) nicht übermäßig lieben Gott.. Das ist bequem, aber eben auch typisches Opfer-Verhalten. Ich kann gar nichts dafür. Und wer für nichts kann, auf den kann man sich auch nicht verlassen. Auf sein Wort schon gar nicht. So jemanden zum Partner zu haben ist auf Dauer sehr anstrengend. Opfer sind keine angenehmen Partner, auch nicht, wenn sie sich noch so gut dafür rechtfertigen.